Wissenschaft und Aberglaube

Camille Flammarion (1888) - Die Atmosphäre

Die Begriffe „Aberglaube und Wissenschaft“ beziehungsweise „Magie und Moderne“ bedürfen einer näheren Erklärung, legen sie doch in gewisser Weise ein Gegensatzpaar nahe, zwei getrennte Sphären, zwei verschiedene Welten. Dass eine solche Trennung jedoch immer eine künstliche sein muss und die Grenzen zwischen beiden Bereichen bei näherer Betrachtung fließend und äußerst relativ sind, habe ich bereits im Buch „Über die magischen Praktiken des Managements“[i] anhand einiger Beispiele gezeigt. Die landläufige Meinung, dass Magie nichts anderes wäre als eine primitive Vorstufe der Wissenschaft ist nicht haltbar. Häufig besteht der Unterschied zwischen magischen und modernen Denksystemen nur darin, dass sie dieselben Sachverhalte in verschiedene Sprachen, in verschiedene Begrifflichkeiten kleiden. Wer heute an Katatonie leidet, der war früher vom Dämonen Mehazael besessen. Wer heute zu Depressionen neigt war einst ein Kind Saturns. Der Fortschritt ist oft nichts anderes als ein Wandel der Masken, der Worthüllen und Modellfassaden.

Magie ist oft nichts anderes, als die Wissenschaft der Vergangenheit oder anderer Kulturen, deren Sprache wir nicht verstehen.

Verschiedene Zeitgeister haben unterschiedliche Auffassungen darüber, was als Wissenschaft und was als Aberglaube zu bezeichnen ist. Vieles von dem, was einst als wissenschaftlich anerkannt war, was anderswo etabliert ist, scheint aus unserer Sicht abergläubisch und irrational. Gleich wird es künftigen Generationen, wird es anderen Kulturkreisen mit vielen unserer Denkgötzen gehen, welchen wir in den Marmorhallen unserer Universitäten huldigen. Was Aberglaube und was Wissenschaft ist bleibt somit relativ. Es täte derart vagen und großräumigen Begriffen nicht wohl, sie in die eiserne Jungfrau eindeutiger Definitionen zu sperren.

Deshalb wird die Auswahl der hier vorgestellten Prognosemodelle nicht am Horizont unserer okzidentalen Moderne haltmachen, sondern weit darüber hinausgehen in Raum und Zeit, soweit Schrift und Überlieferung dies ermöglichen. Denn nicht nur der Wahlforscher in New York, der Volkswirtschaftler in London oder der Börsenanalyst in Frankfurt haben etwas zum Thema Prognostik zu sagen. Auch die Pythia von Delphi, der Astrologe in Babylon oder der Priester in Teotihuacán haben sich eingehend Gedanken zu diesem Thema gemacht, Techniken entwickelt und erprobt, komplexe Berechnungen und Übungen angestellt, um sich ein Fernrohr in die Zukunft zu bauen, ein Schaufenster in den Fluss der Zeit zu schlagen. Und nicht selten wird sich Modernes in den magischen Methoden finden und Magisches in den Modellen unserer Zeit.

 

LITERATUR

Niederwieser, Christof (2002) Über die magischen Praktiken des Managements – Persönlichkeitsmodelle des modernen Managements im kulturhistorischen Vergleich, München und Mering: Rainer Hampp Verlag

FUSSNOTEN
[i] vgl. Niederwieser (2002), S. 35ff

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Niederwieser, Christof (2015) Prognostik 01: Zukunftsvisionen, Norderstedt: BoD – Books on Demand, S. 13f

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