Arten der Prognostik

Der Mensch hat sich in verschiedensten Zeiten und Orten eine bunte Vielfalt an Methoden einfallen lassen, um mehr über die Zukunft in Erfahrung zu bringen. So unterschiedlich all diese Herangehensweisen auch sein mögen in ihrer individuellen Ausprägung, lassen sich dennoch eine Reihe von Gemeinsamkeiten feststellen. In der Antike war eine Zweiteilung weit verbreitet. Bei Cicero findet sich die auf Platon zurückgehende Unterscheidung in eine natürliche und eine künstliche Weissagung.[i]

Unter der natürlichen Weissagung verstand er direkte Eingebung von Göttern und höheren Geistern. Es sind dies all jene Divinationen, welche den Menschen in Träumen, Visionen oder Trancezuständen ereilen. Die künstliche Weissagung hingegen erfolgt mittels Techniken und Methoden, die der Mensch bewusst entwickelt, um den Göttern Informationen über die Zukunft abzuringen. Auch die Beobachtung und Deutung von Zeichen gehört dazu. Diese Art war für Cicero und die Weisen der Antike die wirkliche, die hohe Kunst der Weissagung. Darunter zählten unter anderem Opferschau, Vogelschau, Wahrsagung aus Blitzen, Sterndeutung und vieles mehr.

Seither sind diese zwei Kategorien in vielfältigen Abwandlungen immer wieder herangezogen worden, bis in unsere Zeit hinein:[ii]

intuitiv – analytisch
divinatorisch – empirisch
subjektiv – objektiv
endogen – exogen
Eingebung – Erfahrung

Diese Zweiteilung ist die einfachste Art der Gruppierung von Prognosemethoden. Sie mag auch heute noch ihren Wert haben, vor allem wenn man jene antiken Divinationspraktiken mit einbezieht, welche bis in unsere Tage als Esoterik fortbestehen.

Nach Analyse von mehr als tausend Vorhersagemethoden verschiedenster Epochen und Kulturkreise habe ich eine differenziertere Kategorisierung entwickelt. Diese geht nicht von der Herangehensweise aus wie bei Cicero, sondern basiert vielmehr auf der Erkenntnisquelle der jeweiligen Methode. Dementsprechend unterscheide ich zwischen Prognosemethoden, die auf Intuition und Inspiration gründen (Visionäre Prognostik), solche, die Zeichen und Signaturen deuten (Zeichendeutende Prognostik) und schließlich solche, die im historischen Zeitverlauf gewisse Muster zu erkennen glauben (Zeitendeutende Prognostik).

VISIONÄRE PROGNOSTIK

Die visionäre Prognostik ist dabei die unmittelbarste Form der Prognostik. Es gibt kein festes Arsenal von Werkzeugen oder Regeln, kaum standardisierte Verfahrensweisen. Medium ist der Wahrsager direkt. Die Zukunft wird von ihm nicht berechnet, sondern erschaut. Er nimmt die Botschaft von höheren Geistern und Göttern in Empfang, ist somit weniger Prognostiker, als vielmehr Prophet. In Traum, Trance, Ekstase oder Visionen erschaut er das Kommende.

Aber auch moderne Methoden, welche vornehmlich auf Intuition und Kreativität gründen, fallen hierunter, beispielsweise die Delphi-Methode oder die Szenario-Technik, Utopien und Science Fiction. Die Erkenntnisquelle der visionären Prognostik ist die Eingebung.

ZEICHENDEUTENDE PROGNOSTIK

Die zeichendeutende Prognostik hingegen versucht, die Zukunft aus den Signaturen der Erscheinungswelt zu lesen. Über Analogieketten schließt man von Form und Verhalten eines Systems auf die Geschehnisse in einem Parallelsystem. Der Zeichendeuter liest die kommenden Geschicke aus der Gestalt von Knochen und Eingeweiden, aus geworfenen Steinen oder gezogenen Karten. Von den Bahnen der Vögel schließt er auf die Bahnen der Menschen. Aus den Formen des Körpers erkennt er sein Schicksal.

Die zeichendeutende Prognostik ist der Versuch, im Bauplan der Welt zu lesen. Dabei werden sämtliche Dinge und Vorgänge in der Natur als Ziffernblatt betrachtet, von welchem man die kommenden Geschicke ablesen kann…sofern man zu den Eingeweihten gehört und es versteht, das Buch der Natur richtig zu lesen. Während die visionäre Prognostik auf dem Empfang einer Eingebung beruht, erfordert die zeichendeutende Prognostik langjährige Studien im Buch der Natur. Dies betrifft sowohl all die magischen Methoden der Erscheinungsdeutung, als auch die modernen Ausprägungen. Beispielsweise das Lesen im Gen-Code ist der aktuelle Versuch, materielle Erscheinungsformen als Informationsträger des Schicksals zu betrachten.

ZEITENDEUTENDE PROGNOSTIK

Einen anderen Ansatz wählt die zeitendeutende Prognostik. Für diese sind die materiellen Erscheinungsformen kaum von ursächlicher Bedeutung. Diese sind nur Kulisse eines Programms, welches in der Zeit gespeichert ist und alle Vorgänge in der Welt steuert. Die Erkenntnisquelle der Zukunftsschau ist deshalb auch die Zeit selbst. Der Kalender zeigt nicht nur ein neutrales Datum, sondern auch, was an diesem Tag geschehen wird. Dabei werden verschiedene Konzepte vom Rhythmus der Zeit, von der Bauweise des Weltenuhrwerks, zugrunde gelegt.

Einerseits gibt es die linearen Zeitenmodelle. Hierzu zählen die antiken Modelle der Weltzeitalter ebenso wie soziologisch-philosophische Stufenleitern der Gesellschaft, die bis ins 19. Jahrhundert gebräuchlich waren. Schließlich fallen auch jene zeitgenössischen Ansätze hierunter, welche die Entwicklungstendenzen der Vergangenheit in die Zukunft extrapolieren. Dem gegenüber stehen die zyklischen Zeitenmodelle. In Analogie zu Lebewesen sind hier Kulturen, Epochen und Zeitgeistströme periodischen Kreisläufen von Aufstieg, Höhepunkt und Fall unterworfen. Diesen Ansatz finden wir bei den Kalendern der Maya und Azteken ebenso wie in der Astrologie oder in den geschichtsphilosophischen Kulturkreislehren von Vico, Spengler, Frobenius oder Toynbee. Auch heute noch wird dieses Muster vertreten in den Theorien der Konjunkturzyklen oder des Produktlebenszyklus.

Folgend sind die drei Hauptarten der Prognostik noch einmal zusammengefasst:

PROGNOSTIK ERKENNTNISQUELLE MEDIUM
Visionäre Eingebung Mensch
Zeichendeutende materielle Erscheinungen Natur
Zeitendeutende Morphologie des Zeitverlaufs Zeit

 

FUSSNOTEN

[i] Cicero (44 v. Chr.), S. 21, 35
[ii] vgl. Morus (1958), S. 35ff

LITERATUR

Cicero, Marcus Tullius (44 v.Chr.) De Divinatione, in der deutschen Übersetzung von Raphael Kühner (o.A.), München: Wilhelm Goldmann Verlag

Morus (1958) Die Enthüllung der Zukunft: Prophetie – Prognose – Planung von Babylon bis Wall Street, Hamburg: Rowohlt Verlag

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Niederwieser, Christof (2015) Prognostik 01: Zukunftsvisionen, Norderstedt: BoD – Books on Demand, S. 17ff

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