Während Opium, Alkohol und Hanf auch ausgiebig aus hedonistischen Gründen konsumiert werden, handelt es sich beim Fliegenpilz um ein vornehmlich kultisches Rauschmittel. Er dürfte seit der Steinzeit von Schamanen in ganz Eurasien verwendet worden sein, wahrscheinlich schon seit über 25.000 Jahren. Dies wird vermutet, weil bereits die ersten Paläoindianer, welche während der letzten Eiszeit über die Beringstraße von Asien nach Amerika eingewandert sind, den Fliegenpilz mit sich geführt haben.[i]
Entgegen landläufiger Meinung ist er nur mittelmäßig giftig, enthält aber nach dem Trocknen das halluzinogene Alkaloid Muscimol. Dieses verändert die Raum- und Zeitvorstellung, die Sinneswahrnehmung, sowie Sprache und Denken.[ii] Farben und Geräusche werden intensiver wahrgenommen. Echobilder vergangener Momente drängen sich auf. Manchmal kommt es zu Synästhesien, also zum Hören von Farben, Sehen von Klängen usw. Muscimol kann auch zu einem Zustand der Ekstase und zu außergewöhnlichen physischen Leistungen führen. So wird etwa der kampfeswütige Blutrausch der nordgermanischen Berserker-Krieger auf den Verzehr von Fliegenpilzen zurückgeführt.
Bei den Schamanen Sibiriens ist der Fliegenpilzkult noch heute weit verbreitet. Sie verspeisen die getrockneten Pilze, um in eine hellseherische Trance zu verfallen oder um mit Geistern oder verstorbenen Ahnen zu kommunizieren.[iii] Dieser Brauch hat sich rudimentär auch im Hindukush gehalten und dürfte zu früheren Zeiten in ganz Eurasien verbreitet gewesen sein.
Im präkolumbianischen Amerika war der Fliegenpilzkult vor allem im nordöstlichen Waldland Nordamerikas (Algonkin, Ojibway, Dorgrib), in Mittelamerika (Maya, Azteken, Purepecha) und im westlichen Peru (Mochica) gebräuchlich. Auch hier wurde der Pilz mit der Unterwelt in Verbindung gebracht und für nekromantische Riten verwendet. Die Tzeltalen in Mexiko rauchen noch heute die getrocknete Haut des Fliegenpilzes zusammen mit Bauerntabak, um Prophezeiungen abzugeben.[iv]
FUSSNOTEN
[i] Rätsch (1998), S. 631
[ii] Rosenbohm (1991), S. 59
[iii] Rosenbohm (1991); Rätsch (1998), S. 634
[iv] Rätsch (1998), S. 635
LITERATUR
Rätsch, Christian (1998) Enzyklopäde der psychoaktiven Pflanzen : Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendung, Aarau: AT Verlag
Rosenbohm, Alexandra (1991) Halluzinogene Drogen im Schamanismus, Berlin: Dietrich Reimer Verlag
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Niederwieser, Christof (2015) Prognostik 01: Zukunftsvisionen, Norderstedt: BoD – Books on Demand, S. 36f
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