Auguren und Auspizien im Alten Rom

Von allen Lebewesen sind die Vögel den Göttern am nächsten. So werden sie auch in den meisten Kulturen als Boten der Götter angesehen, als Gesandte des Himmels. Vögel werden in verschiedensten Kulturen gerne als Omina gedeutet, wie das vorige Kapitel gezeigt hat. Manche Völker haben ihre Omenlehren zu komplexen Deutungssystemen ausgebaut, welche es erlauben, den Willen der Götter nahezu jederzeit anhand des Vogelfluges abzulesen. So teilten die Römer den Himmel in vier Regionen („Templa“) und ordneten diesen verschiedene Bedeutungen zu. Relevant waren nicht nur die Bewegungsrichtungen der Vögel durch diese Regionen, sondern auch Anzahl, Formation oder Flughöhe der Tiere. Die genauen Deutungsregeln gehörten zum Geheimwissen der Auguren.

Im alten Rom kam den Auspizien sogar eine staatstragende Rolle zu. Mehr noch als die Sibyllinischen Bücher[i] prägte die Vogelschau die Entscheidungen der Regierung. Es wurde keine Handlung unternommen ohne vorherige Konsultation der staatlichen Auguren. Ob Feldzüge, Konsulwahlen oder Gesetzeserlässe, kein Beschluss war rechtskräftig ohne Bestätigung durch die Auspizien. Selbst die Beamtenschaft war verpflichtet, vor sämtlichen öffentlichen Angelegenheiten eine einfache Form der Auspizien durchzuführen. Zwar war es theoretisch möglich, den Zeichen der Vögel zuwiderzuhandeln, doch konnten derartige Entscheidungen jederzeit rechtlich angefochten werden.

Auguren_Rom

Römischer Augur mit Stab im Templum-Schema

Auch viele Privatleute unternahmen nichts, ohne zuvor die Zeichen der Vögel einzuholen. So waren die Auguren gefragte und sehr einflussreiche Männer. Denn nur sie kannten die genauen Regeln, nach denen der Vogelflug gedeutet wurde. Für schwierige Fälle gab es sogar ein Archiv mit den Resultaten der bisherigen Auspizien. Dieses wurde als Entscheidungshilfe herangezogen, wenn das Urteil besonders schwer zu fällen war.[ii]

Für alltägliche Fragen wurde die sehr aufwendige Deutung des Vogelflugs meist durch ein Hühner-Orakel ersetzt. Dieses war wesentlich einfacher zu praktizieren und konnte auch ohne einen Auguren befragt werden. Dabei wurden den heiligen Hühnern aus Mehl und Wasser geformte Kügelchen zugeworfen. Fraßen die Hühner diese so gierig, dass ihnen dabei etwas aus dem Schnabel fiel, so galt dies als günstiges Zeichen. Verschmähten sie die Bissen oder aßen sie so gemächlich, dass ihnen nichts vom Maul fiel, so war das Zeichen ungünstig. Bereits Cicero beschwerte sich darüber, dass den Hühnern notwendigerweise etwas aus dem Schnabel fallen müsse, vor allem dann, wenn man sie vor der Befragung besonders lange hungern ließ oder ihnen beliebte Spezialmischungen zuwarf. Derartige Praktiken waren gängig, um möglichst sicher ein gutes Omen zu erhalten.[iii] Die Befragung der heiligen Hühner wird meist auch als Auspizium bezeichnet, obwohl sie mit der ursprünglichen Deutung des Vogelfluges kaum mehr was zu tun hat. Sie zählt bereits zu den kultivierten Zeichen, denn die Tiere werden willentlich einer Versuchsanordnung unterworfen. Ihr Verhalten ist der Motor eines jederzeit verfügbaren Entscheidungsapparates.

Auspizien wurden zwar häufig zu prognostischen Zwecken herangezogen, waren im Grunde aber vor allem Ja/Nein-Entscheidungsmaschinen. Vornehmlich sollten sie sagen, ob die Zeit günstig oder ungünstig war für eine Tat, ob diese den Göttern genehm war oder nicht. Aus diesem Grund unterlagen sie auch in hohem Ausmaß einem fortschreitenden Instrumentalisierungsprozess. Waren es anfangs nur drei Auguren gewesen, welche in den wichtigsten Angelegenheiten die Meinung der Götter einholten, so waren es zur Zeit Caesars bereits sechzehn Auguren, welche  ohne Unterlass den Vogelflug deuteten. Auch der schrittweise Übergang von natürlichen Zeichen hin zu den kultivierten Zeichen ist typisch für eine derartige Omen-Mechanisierung. Die Deutung des Vogelfluges war eine sehr aufwendige Angelegenheit und erforderte Expertenwissen und die passenden Beobachtungsbedingungen. Es sollte jedoch irgendwann jede noch so kleine Entscheidung dem Willen der Götter entsprechen. Das kultivierte Zeichen der heiligen Hühner mit seinen zwei einfach zu erkennenden Antwortmöglichkeiten war für diesen Zweck viel besser geeignet als die komplexe Vogelschau. So gesehen ist der Prozess der Zeichenkultivierung gleichzeitig auch ein Prozess der Deutungsvulgarisierung. Der einstmals in sakraler Ehrfürchtigkeit empfangene Wille der Götter wird zur alltäglichen Fließbandarbeit.

Der divinatorische Gehalt der Vogelschau war bereits im alten Rom sehr umstritten. Cicero, selbst ein großer Skeptiker aller Wahrsagekünste, hatte insbesondere für die Befragung der heiligen Hühner nur Spott übrig. Dennoch stellte er die Auspizien als staatliche Institution nicht in Frage. Vielmehr war er im Jahr 53 v. Chr. selbst Augur gewesen und hat auch eine Schrift über die Vogelschau veröffentlicht. Für ihn waren die Auspizien vor allen Dingen ein wesentlicher Stabilisator der römischen Gesellschaft und als solcher unentbehrlich:

„Es wird aber wegen des Volksglaubens und zum großen Nutzen des Staates noch die Sitte, die Religion, die Wissenschaft, das Recht der Auguren und das Ansehen ihres Kollegiums beibehalten.“[iv]

FUSSNOTEN

[i] siehe Niederwieser (2015), S. 83ff
[ii] Potter (1994), S. 153f
[iii] Cicero (44 v. Chr.), S. 31
[iv] Cicero (44 v. Chr.), S. 118

LITERATUR

Cicero, Marcus Tullius (44 v.Chr.) De Divinatione, in der deutschen Übersetzung von Raphael Kühner (o.A.), München: Wilhelm Goldmann Verlag

Niederwieser, Christof (2015) Prognostik 01: Zukunftsvisionen, Norderstedt: BoD – Books on Demand

Potter, David (1994) Prophets and Emperors – Human and Divine Authority from Augustus to Theodosius, Cambridge: Harvard University Press

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Niederwieser, Christof (2016) Prognostik 02: Zeichendeutung, Trossingen: Zukunftsverlag, S. 41ff

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